Think Globally, Act Hillbilly

Die geben sich wieder große Mühe mit mir, die Amis. Das fing schon bei meiner Zwischenlandung in Chicago an: Hier sah ich die AIR FORCE ONE umgeben von schwarzen Autos auf dem Rollfeld stehen! (Dann muss aber etwas schief gegangen sein, wahrscheinlich hat Obama im falschen Terminal auf mich gewartet, wir haben uns jedenfalls irgendwie verpasst.)

In Nashville bin ich so pünktlich angekommen, daß ich schnurstracks in die Grand Ole Opry marschieren konnte! Mein reisebedingter Schlafmangel und ein großzügig gemischtes landestypisches Erwachsenengetränk auf nüchternen Magen mögen dazu beigetragen haben, aber ich hatte vorübergehend den Eindruck, daß das jetzt mehr Wohlempfinden war als mir zustand.

Weil die Überschwemmung vor vier Wochen das Opry House ruiniert hat, fand die Vorstellung im legendären Ryman Auditorium statt, dem Petersdom der Country-Musik sozusagen: Von dieser Bühne war Hank Williams in den Fünfzigern schon verbannt worden, weil er immer zu betrunken war und Johnny Cash auch weil er in einer Laune mal ein paar Scheinwerfer, die er unangenehm hell fand, zusammengetreten hatte. Ein gewisser Mr. Presley aus Memphis war hier einmal aufgetreten und mit dem väterlichen Rat, seinen Job als Lastwagenfahrer nicht überstürzt aufzugeben, nach Hause geschickt worden. Und es gibt sogar noch einen, der das alles miterlebt hat und auch so aussieht: Little Jimmy Dickens ist 89 Jahre alt und tritt seit 1948, und so auch in dieser Woche in der Grand Ole Opry auf!

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Little Jimmy Dickens muss man einfach gern haben, man möchte ihn knuddeln: Er ist so klein, daß das Publikum schon anfängt zu klatschen, wenn ein Bühnentechniker erscheint und das Mikrofon auf die niedrigste Höhe stellt. Er singt dann ein bisschen, und das ist eigentlich … hm, also … ziemlich schlimm anzuhören. Aber er hört dann auch wieder auf damit und erzählt Witze, die ich als alter Opry-Pilger alle schon sehr gut kenne. Eine Legende im Glitzeranzug darf das.

Irgendwas muss sich die Opry noch einfallen lassen, um die Kunst-Banausen im Publikum draußen zu behalten, vielleicht so eine Art Eingangs-Test: Hat mir doch so eine dicke Amerikanerin, als dieser grandiose Klassiker hier gespielt wurde, ins Ohr geschriehen, sie hätte gedacht, das Lied sei von George Clooney:

Vegetation In Labour

In diesem Frühling zweifellos ein Zeichen meines nunmehr akzeptierten fortgeschrittenen Alters: Ich fotografiere Blumen. Das machten früher nur alte Leute.
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Und in meiner Straße wächst an einem Baum etwas Bemerkenswertes in derselben Farbe:
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One For the Money, Two For The Show

logoIch habe am ver- gangenen Wochen- ende viele Kilometer auf der falschen Fahrbahnseite zurück- gelegt um nach Bir- mingham und damit in die fragwürdige Ge- sellschaft tausender anderer Zahnärzte zu gelangen. Hier fand eine riesenhafte Konferenz statt, die Dentistry Show.  Und tatsächlich waren die größten Showmaster der Dentalbranche vor Ort: In der Herrentoilette begegnete mir Bill Dorfman aus Beverly Hills, also known as “Dr. Bill”, dem ich nicht das Wasser reichen, es sehr wohl aber gemeinsam mit ihm lassen konnte. Er sprach sogar zu mir (ich bin unwürdig!).

Wenn man sich so eine dentale Industrieausstellung dieser Tage ansieht, hat man den Eindruck, daß es eigentlich keine Karies mehr zu bekämpfen gebe und Parodontitis nur noch medizinhistorische Bedeutung habe. Stattdessen verbringen Zahnärzte heute offenbar ihre Arbeitszeit damit, Zähne zu bleichen. Jedenfalls gibt es hierfür das größte Angebot an Systemen, Materialien und Marktschreierei. “Smile” ist der Begriff, ohne den die Branche nicht mehr auskommt (ich persönlich muss mich wohl endlich mal von meiner albernen Vorstellung lösen, daß jedesmal wenn wieder ein Zahnarzt dieses überstrapazierte Wort “smile” werbewirksam in den Mund nimmt, irgendwo ein Kätzchen stirbt). Zwischen den ganzen Smile-Ständen der Messe steht dann manchmal so ein kleiner, kaum beachteter Stand einer führenden Firma, die Füllungsmaterialien oder -instrumente anbietet (Tss. So 20th century!).

Hervor tun sich in diesem Biotop auch Dienstleistungsunternehmen, die Zahnärzten versprechen, sie erfolgreich und wohlhabend zu machen, am besten ganz schnell und ohne viel Arbeit. Diese Praxis-Coaches können in der Regel besser rechnen als Zahnärzte, sich mit ihren Theorien und Methoden etwas von der manchmal hemmenden Realität lösen und mit ihrem Selbstbewusstsein ihren Service so überzeugend verkaufen, wie der Zahnarzt es auch gern würde. Sie wissen alles ganz genau, und der überstrapazierte Begriff, mit dem sie wiederum großzügig umgehen (und vermutlich Kätzchen töten) ist “win/win”. Wenn man die Dienste eines Praxis-Coaches in Anspruch nimmt, bringt der einem bei, wie man Leute verarscht, und sobald man zu bemerken imstande ist, daß man selbst gerade von seinem Praxis-Coach nach demselben Muster verarscht wird, hat man das Klassenziel erreicht.

Ob ich die Geschichte von den beiden Fröschen im Milchkübel kenne, hat mich in Birmingham ein netter Kollege, mit dem ich über Praxis-Coaching plauderte, gefragt. Ich dachte zunächst, er meine die olle Motivations-Kamelle, derzufolge man strampeln solle bis die Milch zu Butter geschlagen und man vorm Ertrinken gerettet sei, aber ich antwortete höflich, nein, die kenne ich nicht. Gut, daß ich das gesagt habe, denn die Fabel ging anders, war lehrreich und soll hier abschließend zur Inspiration nacherzählt werden:

Zwei Frösche hüpfen an einem warmen Sommertag auf einer Farm an einem vollen Milchkübel vorbei. Sie sind darüber zunächst sehr glücklich, springen hinein und trinken kräftig. Erst als sie genug getrunken haben merken sie, daß damit der Pegel gesunken ist und sie nun nicht wieder aus dem Eimer herauskommen.
Während sie immer verzweifelter strampeln, kommen andere Frösche herbei und rufen ihnen vom Eimerrand zu, wie sie das anstellen sollen mit dem Heraushüpfen. Es werden immer mehr Frösche um den Eimer herum und jeder quakt den beiden Ertrinkenden seine Ratschläge zu, jeder hat eine todsichere Methode oder eine unfehlbare Technik.
Irgendwann schafft es einer der beiden Frösche aus dem Milchkübel herauszukommen. Der andere ertrinkt leider.
Als die Schaulustigen mit dem Überlebenden sprechen wollen, stellt sich heraus, daß er taub ist.

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Mel Gibs nicht

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Ihr wollt jetzt bestimmt wissen, was ich drunter trage. Dachte ich mir.

Silvester heißt in Schottland Hogmanay und hatte mich heuer auf seiner Gästeliste berücksichtigt. Da kann man nicht gegen die Kleiderordnung verstoßen. Bin dafür auch entsetzlich verwöhnt worden, diesmal mit dem fettesten Feuerwerk der Insel. Und natürlich mit der altvertrauten hospitality in der fotogenen Villa Kunterbunt:

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Sleepless in London

Mein Reisepass hat in den letzten Jahren eine so bedeutsame Rolle in meiner Lebensführung gespielt, daß das nunmehr nahende Ende seiner Gültigkeitsdauer mich unruhig gemacht hatte. Weil ich mich schon lange im Ausland herumtreibe und bei keiner deutschen Gemeinde mehr  als sesshaft angemeldet bin, musste ich gestern in dieser Angelegenheit die deutsche Botschaft aufsuchen. Deutsche Reisepässe schienen sehr begehrt zu sein, und viele wollten zeitgleich mit mir einen davon haben. In Knightsbridge, gleich hinter Harrod’s, ist eine Nachbarschaft mit einer Botschaft neben der anderen, jede natürlich durch Beflaggung gekennzeichnet. Ich hatte zunächst den Eindruck, daß entweder ich oder die überwiegend afrikanisch aussehenden anderen Botschaftsbesucher sich da im Eingang geirrt hatten, während ich als ethnische Minderheit im Wartezahl mit meinem Nummern-Zettelchen in der Hand saß. Das wurde dann noch etwas origineller, als meine mitgebrachten, vom Fotografen speziell angefertigten Biometrie-tauglichen Passbilder am Schalter als zu dunkel abgelehnt wurden, während links und rechts von mir andere Antragsteller Fotos abgaben, die wie Scherenschnitte aussahen!

Nachdem man in der Botschaft sehr großzügig mit meiner Freizeit umgegangen war, hatte ich glücklicherweise noch etwas Zeit für ein Treffen mit Choc, dem einzigen Belgier, den ich kenne und ein Londoner Kulturprogramm, das gleich mehrere Höhepunkte umfasste: Toby Keith, seit Jahren ein Platzhirsch im Country Music-Revier, hatte sein allererstes Konzert ever in England. Da durfte ich nicht fehlen und hatte mir auch wieder einen recht guten Platz im Hammersmith Apollo gesichert. Wenn vor mir gerade keiner seinen Cowboy-Hut oder Cowgirl-Hintern im Stehen schwingen wollte, hatte ich diese Sicht:

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Diese Country-Konzerte locken immer auffällige Menschen aus ihren Verstecken, man ist dann meist umgeben von Rummelplatz-Cowboys mit Hut, Fransenjacke und Traumfänger-Schmuck, die glücklich jubeln und bedeutungsvoll ihre Getränke in die Höhe halten, wenn von Alkohol gesungen wird:

Im ganzen Land und insbesondere in London wurde gestern, am  Armistice Day, wieder der Kriegsopfer der Vergangenheit und Gegenwart mit Mohnblumen gedacht, und am Trafalgar-Square gelang mir davon dieses Foto:

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Erst am Wochenende war ich schonmal am Trafalgar-Square gewesen, weil ich dort mit einer Luckenwalder Abordnung zu einem kleinen Klassentreffen verabredet war. Schon nach wenigen Stunden merkte ich meinen eigenen Gedanken einen Berliner Dialekt an, der ist wohl nie von der Festplatte gelöscht worden. Zum 20. Jahrestag des Mauerfalls hatte mir Marlen zu meiner großen Freude das Brandenburger Tor als Plätzchenform mitgebracht. Die termingerechte Anfertigung von Einheitsplätzchen ist dann aber wegen der sechs grazilen Säulen nix geworden, ersatzweise musste auf  Einheitsgetränke ausgewichen werden.

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Weekend und Sonnenschein

Dieses Wochenende habe ich mich fortbildenderweise in der Hauptstadt aufgehalten und dabei eine neue, nach Eigenständigkeit strebende zahnärztliche Fachrichtung, die Fibrodontie, kennengelernt: Ihr Gegenstand sind kleine Glasfaser-Bänder und -Netze, die dergestalt in Füllungsmaterialien eingebettet werden, daß man kleine Balkone an Zähne bauen kann, wenn man will. Damit will ich jetzt demnächst mal einen meiner Patienten überraschen.

In London gibt es immer Futter, das ich in Blandford nicht bekommen kann; vor lauter Freude werde ich da manchmal gierig. Ganz vorne liegen Thailänder, Portugiese und ein Sushi-Laden, in dem ich auch diesmal wieder schmerzhafte Wasabi-Selbstversuche, aus denen ich einfach nichts zu lernen schien, gemacht habe.

Als touristisches Nebenprogramm geriet ich ins Imperial War Museum, also ins Reichskriegsmuseum (wie man sowas weiterhin nennen darf, wenn man gewonnen hat). Jeder Krieg ist hier mit seinen sauberen Ausstellungsstücken räumlich und ordentlich vom anderen getrennt und unrealistisch hygienisch präsentiert. Neben den üblichen Flugzeugen an der Foyer-Decke und Beute-Panzern im Hof finden sich hier zum Beispiel der protzige Bronze-Adler vom Portal der Berliner Reichskanzlei und das Motorrad, auf dem Lawrence of Arabia bei Blandford zu Tode kam. Es war richtig was los im Kriegsmuseum, ganze Familien waren gekommen, und kletterten fröhlich zwischen den Kanonen umher. Ich schnappte auf, wie ein Kind quängelte: “Da-had, I don’t like this war! Let’s go to the next one.” Im Giftshop gibt es die abgefahrensten Souveniers aus schlechten Zeiten, Lebensmittelmarken als Kühlschrank-Magneten undsoweiter. Auch Leni Riefenstahl-Filme sind hier auf DVD erhältlich; in deren Menü-Leiste kann man seine Kapitelauswahl mit einem lustigen hüpfenden Hakenkreuz treffen (Woher ich das weiß? Och, mit meiner eigenen Vergangenheit als umstrittener Filmemacher hatte ich ja wohl für diese unsinnige Anschaffung eine angemessene Rechtfertigung!).

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Sie haben uns ein Denkmal gebaut

Heute mal wieder ein leckeres britisches Kulturhäppchen: Am Trafalgar-Square gibt es ja an jeder der vier Ecken einen hohen Sockel. Einer davon war für ein Reiterdenkmal Williams IV reserviert, blieb aber aus irgendeinem Grunde unbesetzt. Und weil das komisch aussah, hat man immer mal etwas anderes draufgestellt. Seit ich das zum ersten Mal bemerkt hatte, musste ich mich hier immer wundern, was sie jetzt wieder Unpassendes hochgehievt hatten. Um dann ein Jahr später zu sehen, daß es auch noch schlimmer geht. Ziel schien es zu sein, etwas in Farbe, Material und Geist komplett Ortsfremdes und Unansehliches zu finden, worüber sich dann alle aufregen (so wie in Kassel immer nach der dokumenta, wenn der Scheiß nicht wieder abgebaut wird).

Deutlich sympathischer die derzeitige Ausstellung: 100 Tage lang bekommt 24 Stunden am Tag jede Stunde jemand anders eine volle Stunde Zeit zur freien Verfügung dort oben. Man musste sich zuvor darum bewerben, und das habe ich natürlich gemacht. Ich bin aber nicht auserwählt worden. Ich weiß auch nicht genau, was ich da oben dann machen würde, ich kann ja keine Kunststücke. Im Fernsehen habe ich gesehen, wie die Frau, die als erster hochdurfte, gerade vor Kameras darüber sprach, was das für eine Ehre sei, den Anfang machen zu dürfen. Währendessen hat sich im Hintergrund einer unerlaubterweise schnell am Sicherheitsnetz hochgehangelt und ihr von oben winkend die Show gestohlen.

Viele versuchen, die gewonnene Aufmerksamkeit für einen guten Zweck, also eine wohltätige Sache, die ihnen am Herzen liegt, zu nutzen und haben dann Requisiten, Kostüme und/oder ein Transparent dabei. Er hier demonstriert gerade für das Wohlergehen von Hunden:

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Wenn die Stunde um ist, kommt eine Hebebühne* piep-piep-piependerweise über den Platz gefahren und tauscht die Amateur-Denkmale aus. Pech, wenn man so morgens um 4.oo Uhr dran ist; dann macht es wahrscheinlich wenig Spaß, und die Zuschauerzahlen sind gewiss niedriger als deren Blutalkohol-Spiegel. Das Projekt one&other geht noch bis Oktober, und wer live sehen will, was gerade läuft, guckt hier.

Daß man sich ganz ohne den Sockel zum letzten Blödmannsgehilfen machen kann, wird in London traditionsgemäß auch oft und gern demonstriert. Er hier tanzt gegen Krieg, deshalb stehe ich dem Frieden jetzt skeptisch gegenüber:

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*(die haben hier einen viel schöneren Namen: Kirschpflücker)