Island In The Stream

Wenn mir die Rechtfertigungen für Wochenenden in London ausgehen, buche ich meistens eine Fortbildung dort. Deshalb war ich gestern morgen wieder an der Themse anzutreffen. Zwischen den beiden folgenden Schönwetter-Fotos saß ich dann leider ganztägig in einem dunklen Hörsaal vom King’s College fest. Bemerkenswert war, daß man bei diesem Symposium zur Begrüßung nicht mehr nur das übliche Bündel incl. Namensschild, Prospekten, Schreibblock und Werbekuli bekam, sondern auch noch einen USB-Stick mit allen Vorträgen des Tages drauf (man hätte also gleich wieder heimgehen können). What a time to be alive.

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Weil ich nach stundenlangen Vorträgen über schlechte Zähne nochimmer nichts dazugelernt hatte, freute ich mich am Abend sehr über das kandierte Allerlei auf dem germanoiden Weihnachtsmarkt am Süd-Ufer. Hier gab es sogar beschriftete Lebkuchen-Herzen zum Umhängen. “I love you” stand da drauf und “I (Herz) London”. Die hatten keins für mich mit der Aufschrift “Aweng a Heimweh hob I jetzt fei scho’.”, und ich habe stattdessen einen Hamstervorrat gebrannter Mandeln angelegt.

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Es sollte bergab gehen mit diesem Tag: Auf der Autofahrt nach Hause bin ich von einem so heftigen Regen überfallen worden, daß man hätte glauben können, man sei in der Waschstraße, und zwar in einer ohne Licht. Die Straßen waren überflutet, und auch wenn es sich ganz falsch anfühlte, musste man da ja durch. Gerade als ich dachte, ich schaffe es bis nach Hause schon, hat es der gute alte Benz noch durch eine nasse Senke geschafft und dann schlapp gemacht. Das mir nur akustisch vertraute Vorgehen im Motorraum war nicht wieder in Gang zu kriegen. Klar war mir, daß ich so nicht auf der Fahrbahn stehenbleiben konnte, nicht gerechnet hatte ich damit, daß ich beim Schieben und Lenken von anderthalb Tonnen Fahrzeuggewicht an den Straßenrand mit dem eigenen ipsilateralen Ellenbogen imstande sein würde, mir eine Rippe zu brechen. Das weiß ich jetzt, das tut jetzt weh.

Die Geschichte geht aber doch noch gut aus: Ein hilfsbereiter Engländer namens Russel kam aus dem nächstliegenden Haus und hat mir ein flauschiges trockenes Handtuch gegeben und mich nach Hause gefahren. Weil er eigentlich “The X-Factor” kucken wollte, ist ihm das hoch anzurechnen, und ich hoffe, daß er für den Rest seines Lebens keinem unfreundlichen Deutschen begegnet.

Mein Auto war am nächsten Tag wieder in Gang zu kriegen. Is natürlich jetzt klar, daß ich demnächst auf ein unverwüstliches fettes Allrad-Monster mit riesenhaften breiten Reifen umsteigen muss. Brauche ich ja schließlich, haben wir ja gesehen.

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Does This Make Me Crazy (Possibly)

Als ich klein war, gab es immer Erwachsene, die standhaft behauptet haben, Fernsehen sei schädlich. Genauere Nachfragen bezüglich der befürchteten Folgeerscheinungen ergaben dann angebliche Symptome wie beispielsweise “viereckige Augen”, was ich seinerzeit sehr abschreckend fand und vorsichtshalber erstmal glaubte. Von den wirklichen möglichen Spätfolgen des Vorabend- und Ferienprogrammes der 70er Jahre hatten die wohlwollenden Großen damals natürlich keine Ahnung; ich habe sie selber gerade erst herausgefunden als ich mich kritisch zur Rede stellte, ob mein Haushalt die zwei jüngsten Neuanschaffungen wirklich gebraucht habe:

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Aber das ist noch gar nichts: Einer aus meiner Therapiegruppe hat sich neulich einen Schlumpf auf’s Grab gestellt.

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Sleepless in London

Mein Reisepass hat in den letzten Jahren eine so bedeutsame Rolle in meiner Lebensführung gespielt, daß das nunmehr nahende Ende seiner Gültigkeitsdauer mich unruhig gemacht hatte. Weil ich mich schon lange im Ausland herumtreibe und bei keiner deutschen Gemeinde mehr  als sesshaft angemeldet bin, musste ich gestern in dieser Angelegenheit die deutsche Botschaft aufsuchen. Deutsche Reisepässe schienen sehr begehrt zu sein, und viele wollten zeitgleich mit mir einen davon haben. In Knightsbridge, gleich hinter Harrod’s, ist eine Nachbarschaft mit einer Botschaft neben der anderen, jede natürlich durch Beflaggung gekennzeichnet. Ich hatte zunächst den Eindruck, daß entweder ich oder die überwiegend afrikanisch aussehenden anderen Botschaftsbesucher sich da im Eingang geirrt hatten, während ich als ethnische Minderheit im Wartezahl mit meinem Nummern-Zettelchen in der Hand saß. Das wurde dann noch etwas origineller, als meine mitgebrachten, vom Fotografen speziell angefertigten Biometrie-tauglichen Passbilder am Schalter als zu dunkel abgelehnt wurden, während links und rechts von mir andere Antragsteller Fotos abgaben, die wie Scherenschnitte aussahen!

Nachdem man in der Botschaft sehr großzügig mit meiner Freizeit umgegangen war, hatte ich glücklicherweise noch etwas Zeit für ein Treffen mit Choc, dem einzigen Belgier, den ich kenne und ein Londoner Kulturprogramm, das gleich mehrere Höhepunkte umfasste: Toby Keith, seit Jahren ein Platzhirsch im Country Music-Revier, hatte sein allererstes Konzert ever in England. Da durfte ich nicht fehlen und hatte mir auch wieder einen recht guten Platz im Hammersmith Apollo gesichert. Wenn vor mir gerade keiner seinen Cowboy-Hut oder Cowgirl-Hintern im Stehen schwingen wollte, hatte ich diese Sicht:

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Diese Country-Konzerte locken immer auffällige Menschen aus ihren Verstecken, man ist dann meist umgeben von Rummelplatz-Cowboys mit Hut, Fransenjacke und Traumfänger-Schmuck, die glücklich jubeln und bedeutungsvoll ihre Getränke in die Höhe halten, wenn von Alkohol gesungen wird:

Im ganzen Land und insbesondere in London wurde gestern, am  Armistice Day, wieder der Kriegsopfer der Vergangenheit und Gegenwart mit Mohnblumen gedacht, und am Trafalgar-Square gelang mir davon dieses Foto:

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Erst am Wochenende war ich schonmal am Trafalgar-Square gewesen, weil ich dort mit einer Luckenwalder Abordnung zu einem kleinen Klassentreffen verabredet war. Schon nach wenigen Stunden merkte ich meinen eigenen Gedanken einen Berliner Dialekt an, der ist wohl nie von der Festplatte gelöscht worden. Zum 20. Jahrestag des Mauerfalls hatte mir Marlen zu meiner großen Freude das Brandenburger Tor als Plätzchenform mitgebracht. Die termingerechte Anfertigung von Einheitsplätzchen ist dann aber wegen der sechs grazilen Säulen nix geworden, ersatzweise musste auf  Einheitsgetränke ausgewichen werden.

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